Montag, 29. August 2011

Beim Lesen von Ai Wei Wei


Kurz vor der Abreise in den Urlaub hatte ich in einer Buchhandlung das neu herausgekommene Buch „Macht Euch keine Illusionen über mich. Ai Wei Wei – der verbotene Blog“ gesehen und mitgenommen. 

Es war dann ein Teil meiner Urlaubslektüre. (Und Vorbereitung auf meinen Besuch seiner Ausstellung im Kunsthaus Bregenz. )
Ich muss sagen, dass ich anfangs von dem Buch ziemlich enttäuscht war. Erstens hatte ich den Eindruck, ein gutes Beispiel dafür in den Händen zu halten, dass Blog-Einträge letztendlich nicht wirklich zur Veröffentlichung als Buch taugen, jedenfalls nicht, wenn sie nicht vom Autor selbst und wesentlich gründlicher als in diesem Fall geschehen, für die Veröffentlichung überarbeitet werden.
Und zweitens hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass es sich hierbei um eine editorische Masche handelte, die möglichst noch verlegerischen Profit daraus schlagen wollte, während der andauernden Haftzeit Ais eine deutsche Übersetzung der englischen Übersetzung auf den Markt zu schmeißen. (Seine Entlassung aus der Haft unter Auflagen wird allerdings in der Zeittafel im hinteren Teil des Buches erwähnt.)
Diese Kritikpunkte gelten jedenfalls für ungefähr die erste Hälfte des Buches (immerhin schlappe 478 Seiten dick).
Ich schätze Ais Kunst sehr, ich halte sie für interessant und spannend, originell und wichtig, aber dieses Buch ist kein Zeugnis dafür, dass er auch ein großer Literat ist. Vielleicht liegt das an der Fragmentierung, denn natürlich konnte nur eine Auswahl seiner über 2000 Blog-Einträge in die Veröffentlichung aufgenommen werden. Oder es liegt an der mangelnden Überarbeitung durch den Autor, oder an dieser „Übersetzung einer Übersetzung“, was der Qualität eines Textes in der Regel nicht besonders zuträglich ist. Und seinen Blog hat er natürlich auch nicht mit der Absicht geschrieben, große Literatur zu produzieren, und vermutlich auch nicht im Hinblick auf eine Veröffentlichung in Buchform.
Allerdings habe ich meine anfangs skeptisch Meinung im Lauf des Lesens dann doch noch etwas revidiert. Ais Texte werden nach dem Jahr 2006 deutlich kritischer und wesentlich engagierter. Zwar handelt es sich m.E. nicht, wie auf dem Klappentext behauptet, um „die geistige Positionsbestimmung eines Künstlers“, sondern mehr um die eines Widerstandskämpfers. Aber das sind natürlich mindestens ebenso wichtige Positionen, und da Ai Wei Wei sein Künstlertum immer in Verbindung mit seiner politischen Position sieht, ist es vielleicht kleinlich, sich an diesem Aspekt aufzuhalten.
Ai schreibt wieder und wieder über die Situation der Menschenrechte in China, er prangert konsequent die weitverbreitete Korruption auf verschiedensten politischen Ebenen an, macht sich Gedanken über Zusammenhänge zwischen ethischem Empfinden, Geschichtsbewusstsein und Achtung vor der Individualität der einzelnen Bürger seines Landes, und über die Lage im von China besetzten (in offiziellem chinesischen Duktus „befreiten“) Tibet. Er ergreift Partei für Unterdrückte und ihrer Grundrechte beraubte BürgerInnen seines Landes, verlangt immer wieder eine genaue Untersuchung der Umstände, die zu den verheerenden Opferzahlen unter Schülern beim Erdbeben von Sichuan im Mai 2008 geführt haben (diese Aktionen haben ihn schließlich zu seiner Installation am Haus der Kunst in München veranlasst), 


er verschont auch nicht die Berichterstattung ausländischer Medien, und je näher die Olympischen Spiele in Peking kommen, desto kritischer wird er den Machenschaften der Herrschenden der Kommunistischen Partei Chinas und der Profitgier des IOC gegenüber.

In seiner Gesamtheit ist das Buch ein hartnäckiger, aufrührender, letztendlich immer verzweifelter werdender Bericht eines aufrechten Mahners und Widerstehenden.
Ich finde es unerträglich, dass jemand, der kritische Meinungen zum Politik-Geschehen seines Landes äußert, mundtot gemacht werden soll, indem erst sein Blog gelöscht wurde, dann der Autor von Sicherheitsbeamten auf dem Weg zu einer Zeugenaussage zusammengeschlagen und schwer verletzt wurde, und später unter fadenscheinigen Gründen verhaftet und schließlich nur unter fadenscheinigen Maulkorb-Auflagen wieder freigelassen wurde. Insofern ist es sicherlich wichtig, dass dafür gesorgt wird, dass Ais Aussagen öffentlich zugänglich und dadurch überprüfbar gemacht werden, selbst wenn ein Buch nicht die Idealform für die Veröffentlichung eines Blogs darstellt.
Noch unerträglicher allerdings finde ich, dass die westliche Welt, wie in diesem Spiegel-Artikel, der ein Bericht über Ausstellungseröffnungen während Ais Haftzeit ist, erwähnt,  offensichtlich nur noch in Kulturfragen wenigstens so tut als ob sie gegen die menschenrechtswidrigen Vorgehensweisen der chinesischen Machthaber Einspruch erhöben. Es ist enttäuschend, dass die deutsche Regierung es nicht geschafft hat, die große Ausstellung über das Thema „Aufklärung“ (ausgerechnet!) in China wenigstens zu unterbrechen, um ein Zeichen zu setzen, und dass Frau Merkel nun lediglich darum bittet, Ai Wei Wei möge ein gerechtes Verfahren erhalten. Damit macht sie sich zur Komplizin der chinesischen Unterdrücker.
Warum eigentlich unterliegen nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an den inhaftierten Lu Xiaobo nur norwegische Waren ein Importverbot nach China, warum ist es nicht möglich, dass auch mal chinesische Waren mit einem Importstopp in die westlichen Länder belegt werden? Vermutlich bleibt nur das Fazit, dass das Zeitalter der Menschenrechte mittlerweile endgültig vorbei ist. Es zählt nur noch das Wirtschaftsergebnis. Über Grundrechte wie Rede- und Meinungsfreiheut und das Recht wird (bestenfalls) nur noch gesprochen, und nicht mal das noch besonders überzeugend.

Wollen wir trotzdem hoffen, dass die im Spiegel-Artikel geäußerte Ansicht, Chinas Machthabende hätten sich verschätzt und Ai Wei Wei sei inhaftiert gefährlicher als in Freiheit, sich insofern bewahrheitet, dass er möglichst bald wieder vollkommen „ungefährlich“ ist. Und dass es ihm selbst nicht so ergeht, wie er im Blog-Eintrag „Lasst uns Vergessen“ vom 3. Juni 2009 ironisch anmahnt „Lasst uns jede Verfolgung, jede Demütigung, jedes Massaker, jede Vertuschung, jede Lüge, jedes Versagen und jeden Toten vergessen, alles, was in der Erinnerung schmerzen könnte, und lasst uns immer auch gleich vergessen, dass wir etwas vergessen.“

Hier gibt es einen Bericht über Ais New Yorker Fotoausstellung, hier über die Ausstellung in 
Berlin.
Außerdem ein Bericht über sein erstes Interview nach seiner Entlassung.

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