Freitag, 18. November 2011

Textilien im Museum

In Kunstmuseen, die keine besondere Textilabteilung haben, sind Kunstwerke aus Textil in eher geringer Zahl vertreten. Wieso eigentlich?
Als ich im April im Bechtler Museum of Modern Art in Charlotte, North Carolina, war, habe ich allerdings drei Stücke gesehen: eines war ein gewebter Teppich von Picasso, eins trug den Titel „Modern Tapestry“ (Moderner Wandbehang) und war von Roy Lichtenstein. (Wobei mich bei beiden sofort die Frage überfiel: und wer hat gewebt oder geknüpft – vermutlich nicht die beiden Künstler selbst?) Das interessanteste von den Kunstwerken aus Textil war allerdings das dritte Stück, das die Familie Bechtler von J. Miró geschenkt erhalten hatte: es war sein Putzlumpen für die Pinsel, also ein löchriges und farbverschmiertes Tuch. Nachdem Herr Bechtler es bei einem Besuch im Atelier mal begutachtet hatte, hatte Miró es auf einen Rahmen gespannt, mit seiner Unterschrift versehen und auf die Rückseite eine Widmung für die Familie Bechtler hinzugefügt. Was meine insgeheim gehegte Hypothese eigentlich bestätigt: es ist die Signatur, die die Kunst (aus)macht.

Sonst sind Textilien wirklich nicht zahlreich vertreten. Das Buchheim Museum in Bernried (der korrekte Name lautet “Museum der Phantasie”), hat allerdings eine bemerkenswerte Ausstellung von Textilien. Lothar BuchheimFilmemacher, Autor, Sammler, Journalist und Abenteurer hat nicht nur die Expressionisten gesammelt als sie niemand sonst haben wollte, sondern eigentlich alles, was irgendwie sammelbar war. (Demnächst wird es in dem Museum eine Sonderausstellung über Buchheims Sammlung von Orangenpapieren geben – erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als Zitrusfrüchte aus konservatorischen und transporttechnischen Gründen einzeln in bunte Papiere eingewickelt waren, die zu enthüllen diese besondere Verzögerung der Genußsteigerung vor dem Verzehr der damals noch als Luxusgüter angesehenen Südfrüchte war...?) Vor kurzem feierte das Museum sein 10-jähriges Bestehen.

Blick auf den Ausstellungsraum von der Lese-Ecke


Im Verlauf einer Afrika-Reise im Jahr 1978 hat Buchheim eine Reihe von Textilarbeiten des Applikationskünstlers Alphonse Yémadjè in der heutigen Republik Benin gekauft, von denen mittlerweile zehn im Museum ausgestellt sind. 
Während der vergangenen Woche waren wir im Rahmen des Kurses “Farbe – Form – Objekt: Textiles nach Bauhausphilosophie” von Margit Amann vonGlembotzki mit einer Führung dort im Museum, um uns gerade diese Textilarbeiten anzusehen.
Die Stücke sind im unteren Stockwerk des Museum ausgestellt, im Umfeld der übrigen weitgehend unbeschrifteten Afrika-Exponate. 


Dank des besonderen Einsatzes eines Mitarbeiters, der leider mittlerweile das Museum verlassen hat, sind wenigstens diese Textilien beschriftet, mit einigen zusätzlichen Erläuterungen versehen, und werden so der völligen Obskurität entrissen. Die Textilien – allesamt in Applikationstechnik ausgeführt - werden „Genähter Gesang“ genannt und stellen geschichtliche Epochen aus den letzten vorkolonialen Jahrhunderten dar, so z.B. Schlachten zwischen den Königen und verschiedenen Gegnern, die ursprünglich als orale Geschichte in Form von Gesängen von Generation zu Generation weitergegeben wurden, mit dem Auftauchen von leichten Stoffen aber dann auch als Gedächtnisstütze in Textilien ‚festgehalten’ wurden. Die Applikationstechnik durfte nur von wenigen auserwählten Familien im Dienste des Königs des damaligen Königreiches Dahomey (in der Gegend des heutigen Benin) ausgeübt werden, und die Arbeit blieb den Männern vorbehalten. Der Erschaffer der heute im Buchheim-Museum ausgestellten Arbeiten ist ein Nachfahre dieser Familien und erhielt 1992 den Staatspreis der Republik Benin für seine Arbeit. Ob er noch lebt, wusste unsere Museumsführerin allerdings nicht.
Unsere Museumsführerin hatte sich extra und intensiv auf unsere Führung vorbereitet, die in dieser Form vorher noch nicht gewünscht worden war. Sie selbst gab zu, sich vor dieser Vorbereitung nicht ausführlich mit den Stücken beschäftigt oder ihnen wirkliche Aufmerksamkeit gewidmet zu haben, außer der Tatsache, dass sie immer darauf hingewiesen habe, dass die Expressionisten, die ja Schwerpunkt des Museums sein sollen, ihre Kunst-Auffassung und Ausführungsweise von eben solchen ethnischen Kunstwerken her entwickelt hatten (beispielsweise die Verwendung von leuchtenden oder bunten Farben für Gesichter als Ausdruck für Stimmungen, anstatt eine realistische Darstellung anzustreben).
Bedauerlicherweise sind diese faszinierenden Stücke völlig ungeordnet ausgestellt, die Tafeln mit geschichtlichem Hintergrund nur ungenau den einzelnen Stücken zuzuordnen, und dass es sich bei dem ‚Königreich Dahomey’ um die Gegend des heutigen Staates Benin handelt, muss man auch eher indirekt erschließen. Dies beruht auf  Buchheims Auffassung, dass Museumsbesucher nicht durch in seinen Augen überflüssige Informationen überfüttert oder von ihrer eigenen freien Betrachtung abgelenkt werden sollten, daher ja auch der Name „Museum der Phantasie“. Es führt allerdings eben auch dazu, dass Besucher, die keine grundlegende völkerkundliche Ausbildung haben, mit der weitestgehend unbeschrifteten Afrika-Ausstellung nur äußerst wenig anfangen können. Oder dass diese interessanten Textilien ohne eine solche Führung sich nicht wirklich erschließen lassen.
Da hat ein großes Museum interessante Textilien in seinem Inventar, und macht so wenig daraus... Unsere Museumsführerin meinte, wenn es jetzt nicht das Buchheim-Museum wäre, hätten diese Stücke sicher kaum eine Chance, jemals in einem Kunstmuseum ausgestellt zu werden. Und selbst in diesem Museum, wo fast alles eine Chance bekommt, als Kunst gesehen zu werden, fristen diese Stücke ein Dasein am Rande... Schade. 

Hier ein Verweis in der lokalen Zeitung zur Ausstellung der Stücke. 

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