Dienstag, 9. Dezember 2014

Mia sprechan Daitsch

Es sind jetzt zwanzig Jahre, ein Monat und 9 Tage, dass ich offiziell in Bayern wohne. Als Zugezogene habe ich mich immer gefühlt, und manchmal habe ich mich auch, halb im Scherz, als „Ausländerin in Bayern“ bezeichnet. Schon da war es nur ein halber Scherz – so richtig im Hals steckengeblieben ist mir dieser Satz allerdings am vergangenen Wochenende. Als die Einheitsregierungspartei dieses Bundeslandes allen Ernstes forderte, nach Bayern zugezogene Ausländer sollten dazu angehalten werden, in der Familie Deutsch zu reden. Mittlerweile hat ja glücklicherweise das heftige Zurückrudern begonnen – aber der Schaden, der angerichtet wurde, kann wohl nicht mehr gutgemacht werden.
Ich frage mich, welches Deutsch gemeint war – das Deutsch, das gemeinhin als „Hochdeutsch“ bezeichnet wird, ja vermutlich nicht. Denn kein anderes Bundesland legt soviel Wert auf die Bedeutung und den Erhalt der lokalen Dialektformen des angeblich vom Aussterben bedrohten Bayerisch. Und als nächste Frage müsste folgen, wieviele von den Regierungsangehörigen der Regierung hier im Land überhaupt dieses Deutsch sprechen können bzw. in ihrer Familie sprechen.
Und dann frage ich mich, in welcher Lebensrealität diejenigen stehen, die diese Forderung vorgebracht und wohl auch ernst gemeint haben. Ganz offensichtlich haben sie nie mit ihrer Familie im Ausland gelebt, und den zusammenfügenden Einfluss der in der eigenen Familie gesprochenen Muttersprache am eigenen Leib erfahren. Als ich mit meiner Familie mehrfach länger in meiner Kindheit in den USA war, haben wir natürlich Deutsch in der Familie gesprochen – und das Englisch in der Schule aufgeschnappt. Das waren Aufenthalte, die freiwillig angetreten wurden, wir waren keine Flüchtlinge aus Krisen- oder Kriegsgebieten. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, das eine Familie in einer fremden Umgebung braucht, insbesondere, wenn sie in extremen Notlagen ihre Heimat verlassen mussten, ist von unschätzbarem Wert, es kann im Wesentlichen durch die Sprache vermittelt werden – und es ist unverantwortlich von den Oberen, da reinregieren oder darüber bestimmen zu wollen.
Aus Sicht einer ehemaligen Sprachwissenschaftlerin kann ich dann nur noch betonen, dass es Quatsch ist, wenn Eltern, die vielleicht nicht so gut Deutsch können, ein fehlerhaftes Deutsch mit ihren Kindern sprechen, denn dadurch lernen die dann wiederum fehlerhaftes Deutsch. Wichtig sind intensive, normal-alltägliche Kontakte der aus fernen Ländern zu uns gekommenen Menschen zu Deutsch sprechenden Menschen, in Ergänzung zu Sprachkursen. Dann lernen alle voneinander – manche Deutsch, manche Toleranz, manche vielleicht etwas über die große weite Welt.

Ich frage mich, in was für einer Umgebung ich hier lebe – jedenfalls nicht in ‚meinem’ Land. Und Willkommenskultur stelle ich mir anders vor. Mein Sohn allerdings wächst, wie Ausländerkinder das eben oft tun, zweisprachig auf, durch Kontakt zu seinen Freunden lernt er draußen Bayerisch, und kann aber auch fehlerfrei Deutsch sprechen.Aber nun weiss ich wirklich, dass ich Ausländerin in Bayern bin, denn wir sprechen zu Hause Deutsch. Nur Witze werde ich darüber vermutlich keine mehr machen.

Postkartenidylle Bayern?

2 Kommentare:

  1. Super geschrieben. Das Thema hat mich auch sehr beschäftigt und habe darüber in meinem Blog geschrieben.

    LG
    Helena

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  2. Liebe Helena - vielen Dank für Deinen Kommentar - Leute wie Du müssen sich ja wirklich fragen, in was für ein Land Ihr Euch begeben habt. Und dann noch freiwillig! Und heute nacht brannten zukünftige Flüchtlingsunterkünfte, und die CSU-Granden tun völlig entsetzt und erschüttert. Ich könnte ...
    Ich bin ganz froh, dass Du Dich gemeldet hast - kannst Du mir bitte nochmal den Link zu Deinem Blog schicken und Deine E-Mail schicken (wird nicht hier veröffentlicht), denn ich habe leider alle Visitenkarten, die ich im Elsass bekommen habe, zu gründlich aufgeräumt... Und hätte Dir sonst schon längst mal geschrieben!

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