Sonntag, 26. April 2015

Verlust und Loslassen

Von meinem Koffer, der auf der Fahrt zu meinen Eltern verschwunden ist, gibt es keine Spur. Die Polizei kann trotz Vidoeaufnahmen nicht feststellen, wann der Koffer verschwunden ist oder die S-Bahn verlassen hat, das Fundbüro hat „keinerlei Meldungen bezüglich des gesuchten Gegenstandes“. Ernsthaft damit gerechnet habe ich auch nicht, und es tut auch schon lange nicht mehr so weh, dass die Gegenstände verschwunden sind. Im Gegenteil – ich habe den Eindruck, dass der Verlust ein bisschen dazu beigetragen hat, eine Art Aufräummodus zu verstärken. Und das ist sicherlich kein ‚Frühjahrsputz’, dazu habe ich nämlich in allen vorhergehenden Jahren eher wenige Neigung verspürt. Ich merke nun, dass ich immer wieder dabei bin, auszumustern, auszumisten, wegzugeben. Nicht in wirklich großem Stil, wohlgemerkt, das käme wohl erst so richtig in Gang, wenn ein Umzug bevorstünde, was aber derzeit nicht mal mehr gedanklich angepeilt wird, aber in kleinen Schritten.
Heut früh z.B. habe ich mich entschlossen, ein Projekt abzubrechen, das ich im Dezember letzten Jahres versuchsweise angefangen hatte.
Es hieß „Poesie des Wissens“ und basierte auf der Wissen-Seite aus der Süddeutschen Zeitung. Ich hatte angefangen, aus den Überschriften und Bild-Erläuterungen, die auf der Seite auftauchen, collage-artige Gedichte zu machen. 
Das waren die Regeln: der Großteil des Textes rekrutiert sich aus den Überschriften/Erläuterungen und, wenn nötig, Texten des jeweiligen Tages. Von der Rückseite konnten auch Worte genommen werden, in allergrößter ‚Not’ auch ein paar aus einem Töpfchen, in dem ich besonders schöne Worte, die an einem bestimmten Tag nicht zum Zug kamen, sammelte (z.B. "Links- und Rechtsschnabler").
Am Anfang war ich voller Elan, und in den ersten zwei Wochen habe ich fast jeden Tag, an dem eine Wissen-Seite erschien, ein Gedicht gemacht. 

20. Dezember 2014


16. Dezember 2014

5. Dezember 2014

Dann kamen die Weihnachtstage und der Urlaub, danach war ich schon hintendran, die Seiten stapelten sich, und ich fand die meisten Ergebnisse auch nicht gerade überzeugend. Sozusagen von zweifelhaftem literarischen Wert. Zuviel experimentell, zuviele thematische Brüche, weil die Überschriften eben keine besonders guten Zusammenhänge hergaben.

In den letzten Tagen kam nun, eben auch durch den verlorenen Koffer, und durch meine Beschäftigung mit den Asylanten, immer wieder das Thema auf, dass man manches loslassen muss. Und heute früh habe ich dieses Projekt beendet und losgelassen. Das Buch wurde aufgelöst (es sind noch zeimlich viele Seiten drin, die einer anderen Bestimmung zugefährt werden können), die über mehrere Wochen angesammelten Zeitungs-Seiten und die restlichen Zeitungsschnipsel entsorgt. Gedichte müssen anders entstehen. Eine Ecke meines Arbeitstisches wird nun nicht mehr durch dieses Buch blockiert. Und das schlechte Gewissen, dass ich dem Projekt nicht genug Zeit widme, um es erfolgreich zu gestalten, ist auch weg.

4 Kommentare:

  1. Kann ich verstehen, dass du dir Freiraum schaffen wolltest. Aber eine dichtende Quilterin - das ist eine echte Nische! Ich find, deine Gedichte haben Potential.

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    1. Jetzt könnte ich fast verunsichert werden - die Altpapierkiste ist noch nicht entleert... Und "Wissen"-Seiten kommen ja immer wieder. Vielleicht mal so eines ab und zu, wenn Zeit ist?!

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  2. Liebe Uta,
    jawohl so ist´s gut - weg damit was einen stört und nichts bringt. Bloß nicht lange überlegen. Zu diesem Thema habe ich mir vor Jahren das Buch "Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags" besorgt. Der Titel klingt esoterisch, ist es aber nicht. Immer mal wieder nehme ich es zur Hand und fange an, unnötiges zu Entsorgen! Eine Wohltat. Viele Grüße aus Bi-Bi von Kirsten

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    1. Das Buch kenne ich auch, und im Hinterkopf habe ich den Titel auch immer (allerdings habe ich das Buch auch nicht mehr, schon entrümpelt...) - es tut tatsächlich gut. Und man hat ja doch immer noch so viel...

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