Mittwoch, 4. Juni 2014

Ein Jahr voller chinesischer Träume

Im akademischen Jahr 1988/89 war ich im Rahmen meines Englisch- und Germanistik-Studiums für ein Jahr als teaching assistant for German as a Foreign Language am College ofthe Holy Cross in Worcester, MA (USA). 

Auf dem Campus - Bild stammt von hier
Durch solche Austauschprogramme können deutsche Studenten Auslandserfahrung im Land der Sprache machen, die sie selbst studieren, und außerdem noch Lehrerfahrung sammeln. Es war ein sehr interessantes und lehrreiches Jahr in vielerlei Hinsicht. Zumal ich damals noch deutlich jünger war, und noch viel naiver an Veränderungs- und Verbesserungsmöglichkeiten für die Welt geglaubt habe.




In diesem Jahr habe ich auch Chinesisch gelernt. Ich habe stundenlang dagesessen, die Schriftzeichen in ihrer richtigen Reihenfolge geübt, und gegen Ende des Aufenthaltes war ich sogar fest davon überzeugt, ich würde das in Deutschland fortsetzen, außerdem mein 2. Nebenfach auf „Deutsch als Fremdsprache“ ändern und dann irgendwann als Deutschlehrerin nach China gehen.
Als ich nach Freiburg zurückgekehrt war, habe ich mir als erstes einen Chinesischkurs an der Uni gesucht. Es wurde sogar dasselbe Textbuch verwendet, das ich aus Worcester mitgebracht hatte. Der Unterricht allerdings war eine totale Enttäuschung. Nachdem ich in Worcester sowohl selbst als Lehrerin als auch als Schülerin für Chinesisch eine engagierte und intensive Unterrichtsweise in kleinen Gruppen, mindestens fünfmal pro Woche Kontakt mit Lehrpersonen, kennengelernt hatte, war der Unterschied zu krass. Mindestens fünfzig Leute im Kurs, einmal pro Woche, und Frontalunterricht total. Der Spaß daran verschwand wie eine kleine Pfütze in der Sonne.
Außerdem hatten die politischen Ereignisse sich alles andere als positiv entwickelt. Am 4. Juni ging ich, bevor ich Nachrichten gehört hatte, in die Stadt, und sah eine große Gruppe chinesischer Studenten schweigend mit Bannern durch die Straßen ziehen. Da wusste ich sofort, dass etwas in Peking, wo seit Tagen Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens stattfanden, passiert war.  Danach war für mich klar, dass das kein Land ist, in dem ich länger leben oder arbeiten möchte. Aber was ist das Ende eines solch kleinen Planes oder Traumes gegenüber der unbegreiflichen und nicht wirklich bekannten Anzahl von Toten, die dieses Massaker damals gekostet hat?

Weltberühmtes Bild aus den Tagen des Massakers, entnommen
dem Artikel in der heutigen Süddeutschen Zeitung


Heute gedenke ich all der Menschen, die ihr Leben im Kampf für Gleichheit, Freiheit und Meinungsfreiheit eingesetzt haben – und dafür mit dem Leben bezahlten, auf diesen mittlerweile viel zu zahlreichen Plätzen der Erde.

2 Kommentare:

  1. Liebe Uta,
    Dein Beitrag über Chinesisch und das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking (in diesem Zusammenhang ein entsetzlicher Name) berührt mich sehr, er zeigt, wie zwiespältig doch unsere ganze Existenz ist.
    Egon Krenz hat seinerzeit noch diese Ereignisse offiziell schön geredet, aber wer hören wollte, hat auch bei uns mehr erfahren.
    Schön, dass Du hier in Deutschland lebst, so kommen wir doch in den Genuß, Deine schönen Arbeiten anzusehen. Ich wünsche Dir weiterhin so viel Erfolg.
    Herzliche Grüße aus Dresden
    Erika Beetz

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  2. Liebe Erika - es hat mich in der Berichterstattung der letzten Wochen auch erschüttert, dass heutige Chinesen durch die Art der Berichterstattung über das Ereignis weitgehend der Meinung sind, dass es richtig war, gegen die "Rebellen" vorzugehen, weil ja sonst das Wirtschaftswachstum nicht hätte stattfinden können. Ich glaube, wir können nicht genug Bewusstsein dafür entwickeln, welch unglaublich wichtiges Gut die Meinungsfreiheit und vielseitige Berichterstattung darstellen. Eine objektive Berichterstattung kann es ja eigentlich gar nicht geben. Und ich fürchte, gerade diese Werte sind in unserer heutigen Gesellschaft höchst gefährdet.

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